Depression & Angststörung: Willkommen in meinem Alltag
Nach diesem Titel zu urteilen, muss mein Alltag ja ziemlich verschissen sein, oder?? Aber no Panic, dies hier wird kein Jammerartikel. Denn ich gehöre zu den Glücklichen. Ich trage diese Krankheiten und Labels zwar tagtäglich (und wahrscheinlich bis ich tot umkippe) mit mir rum, ich habe sie mittlerweile aber alle unter Kontrolle.
Ich lebe nämlich trotz allem ein erfülltes, glückliches Leben. Heute will ich euch meine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die mit einem hochsensiblen und unsicheren Kind beginnt, in einer stark depressiven und durch Angst völlig blockierten Studentin gipfelt und heute, mit einer glücklichen und beruflich erfolgreichen Mitte 30ig-Jährigen, endet. Und wenn du denkst dein Leben sei nicht lebenswert, dann lass mich dir sagen, auch du kannst wieder glücklich werden.
Schon immer zu sensibel
Wenn ich mich an meine Kindheit entsinne, dann war die schon immer widersprüchlich. Mir hat es als Kind an nichts gefehlt. Liebende Eltern, ein älterer Bruder, vier Mal Ferien im Jahr und sowohl finanziell wie auch intellektuell alle Möglichkeiten das zu tun, woran ich Spass hatte. 10 Jahre Ballett, 10 Jahre Pfadi, 15 Jahre Flötenunterricht, 10 Jahre Jugendmusik im Blasorchester, aktiv im Schulchor und eine gute Schülerin.
Ja, grundsätzlich standen alle Zeichen auf Friede-Freude-Eierkuchen. Aber ich hatte ein Problem. Ich fühlte mich unter Gleichaltrigen weder erwünscht/akzeptiert noch jemals einfach nur gut genug für irgendwas. Seit ich denken kann, hatte ich Angst nicht dazuzugehören und war somit sicherlich ab der 3. Klasse nonstop unter Stress und extrem angespannt. Ich wurde mit Eicheln beworfen, in Schränke gesperrt und ausgelacht. Es war kein richtiges, eindeutiges Mobbing, aber in mir drin war ich überzeugt: Die mögen mich alle nicht.
Die Depression mit 18
Die Schulzeit war geprägt von guten Noten und dem konstanten Schulstress. Eine 6 war gut, eine 5 gerade noch genügend und ab einer 4.5 bekam ich Nachhilfeunterricht. Da ich grundsätzlich intelligent war, wurde ich in denjenigen Fächern gefördert, die mir schwer fielen. Meine innere Messlatte wurde immer unerreichbarer. Offenbar bestand das Leben an der Kantonsschule nur aus Anstrengung, extreme Anstrengung. Aber egal wie sehr ich mich anstrengte, meine Messlatte konnte ich nicht erreichen. Und so verfiel ich ein halbes Jahr vor Matur in Panik.
Und diese Panik hat mich gelähmt. Plötzlich ging nichts mehr. Eine gewisse Zeit habe ich noch funktioniert. Als 18-Jährige muss man sich ja nicht um Dinge wie Kochen oder Haushalt kümmern. Aber irgendwann schaffte ich es auch nicht mehr in die Schule. Das Leben, all die Anstrengung, ja einfach nichts machte mehr Sinn. Da war nur noch eine Leere. Und ich wusste: Niemals würde ich den Anforderungen im Leben gerecht werden können.
Völlig antriebslos und mit dem ständigen Wunsch nicht mehr leben zu müssen, durfte/konnte/musste ich weniger als sechs Monate vor der Matur die Schule verlassen. Ich weiss nicht mehr viel aus dieser Zeit. Meine Erinnerung besteht fast nur noch aus Gefühlen. Aber das Gefühl nicht zur Matura antreten zu müssen, das war einfach nur unendlich erlösend.
Zum Bachelor geschleppt
Depressiv und gequält von Ängsten willst du garantiert nicht über deine Zukunft nachdenken. Wenn du nicht leben willst, ist dein Problem wie du durch den Tag kommst und nicht welchen Beruf du in 5-10 Jahren ausüben möchtest! Fuck – was spielt das denn für eine Rolle? Ich kann ja eh nix!!
Dank (damals wegen) meinen Eltern habe ich es dann ein Jahr später aber doch noch geschafft Matur zu machen, auszuziehen und mein Leben, befreit von äusseren Erwartungen, einigermassen auf die Reihe zu kriegen.
Es ging mir zwar besser, verstanden hatte ich aber überhaupt nichts. Weder Psychologen noch Psychiater haben mir je wirklich erklärt, woran ich erkrankt war. Nur so viel hatte ich verstanden: Jeder hat eine Badewanne voller Glücksgefühle im Kopf und bei meiner Badewanne ist der Abfluss grösser als der Zufluss. Und dafür gab es Medikamente. Okay – dann nehme ich jetzt halt Medikamente.
Diese grossartige Symptombekämpfung, ohne der Ursache meiner Depressionen auch nur einen Millimeter näher gekommen zu sein, würde noch viele Jahre andauern. Ich kam aber einigermassen klar im Leben. Dummerweise war ich aber extrem beeinflussbar und habe mich in einen 11 Jahre älteren Mann verliebt, der mindestens genau so psychisch krank war wie ich. Wenn du aber selber denkst, dass du nicht liebenswert bist und da kommt plötzlich einer daher, der dich (vermeintlich) auf Händen trägt, dann ist das dein Hero. Und so habe ich sämtliche Alarmglocken über lange Zeit erfolgreich ausgeblendet. Diese zweijährige, von Missbrauch geprägte Beziehung, hat mich auf persönlicher Ebene extrem geprägt. Die Folge war einer Verstärkung meiner Angstzustände und neu kamen auch noch Panikattacken dazu.
An der Uni aber ging es mir soweit ganz gut. Ich fand endlich gute Freunde, lernte, aktiv etwas gegen meine Depressionen zu tun (nicht im Bett liegen bleiben, zum Sport und Spazieren gehen etc.) und hatte tatsächlich Spass an meinem Sprachstudium. Endlich musste ich mich nicht mehr mit den lästigen Fächern abgeben, die mich nur überforderten. Ich kam mit dem Prüfungsstress soweit ganz gut klar und fühlte mich wohl in meiner WG und dem Leben als Studentin, das auch viele Freiheiten mit sich brachte.
Schwierig wurde es dann wieder auf der Zielgeraden zum Bachelor. Ich schob die Bachelorarbeit vor mir her und war erneut gelähmt von der Angst, diese schriftliche Arbeit nicht zu schaffen. Diese Panik füllte meinen ganzen Körper. Ich konnte nicht schlafen, konnte nicht essen, niemals entspannen und war schlichtweg unfähig, mich auf meine Prüfungen vorzubereiten. Verzweifelt und Hilfe suchend lernte ich zum ersten Mal die Wirkung von verschreibungspflichtigen, angstlösenden Medikamenten kennen. WOW! Holy shit – zu was ich fähig war, wenn ich keine Angst mehr hatte!!
Und so war die Bachelorarbeit in Windeseile geschrieben. Abschluss Bachelor of Arts mit Note 5.5. Was habe ich dabei gelernt? Ich kriege ohne Medikamente offensichtlich nichts auf die Reihe.
Ein mühsamer Weg ins Berufsleben
Weiter zu studieren, wäre nur eine weitere Qual gewesen. Also habe ich mir einen Job gesucht. Irgendetwas in mir erinnerte sich daran, dass ich ja nicht komplett verblödet war. Dass ich dann aber in den folgenden neun Monaten übles Mobbing während meines Praktikums erfahren würde, damit konnte keiner rechnen. Und das hat mir den letzten Funken Glaube an mich und meine berufliche Leistung geraubt.
Es folgten Jahre in denen ich einfache Jobs hatte, die mich über Wasser hielten. Sie erfüllten mich zwar nicht, aber sie überforderten mich auch nicht. Das schien das Rezept zu sein, mit welchem ich würde leben müssen. Und es war demütigend. Ich war absolut unfähig nur die geringste Herausforderung anzunehmen.
Die Erkenntnis
Ich war 3o Jahre alt und mittlerweile tatsächlich seit 3 Jahren in einer stabilen und liebevollen Beziehung mit einem Mann. Er war der erste (!), der nicht davon gerannt war, nachdem ich ihm von meinen Problemen erzählt hatte.
Aber es brauchte einen erneuten, beruflichen und psychischen Tiefschlag, um endlich für meine Gesundheit, ja für mich, kämpfen zu können.
Ich war noch immer unterfordert im Job, aber mittlerweile bei einem Arbeitgeber angestellt, wo es Aufstiegsmöglichkeiten gab. Und als man mir eine solche zum ersten Mal anbot, nahm ich sie zögerlich an, nur um anschliessend kläglich zu versagen. Was dann kam, war mir aber neu: „Tough Love“. Meine damalige Chefin ging hart mit mir ins Gericht, weil ich anscheinend total übertrieb, nur mein eigenes Leiden sah und eingelullt von meinen Ängsten, den Bezug zur Realität komplett verloren hatte. (Nein, das waren natürlich nicht ihre Worte.) Sie rüttelte mich aber auf und gab mir klar zu spüren: „So nicht“. Ich war unendlich verletzt. Wie kann sie nur so fies zu mir sein! Und dann gab es zu Hause auch noch Tough Love: „Schatz, du musst dich den Problemen stellen. Du kannst nicht immer davon rennen und darauf warten, dass andere deine Probleme lösen. Denn nur DU kannst deine Probleme lösen.“ Dies war der Tag, an dem sich für mich alles ändern sollte.
Heute: Eigenverantwortung und sich selber lieben lernen
Es war tatsächlich Wut, die es mir ermöglich hat, meiner hässlichen Endlosschlaufe der Depressionen und Ängsten zu entkommen. Denn damals, 2014, war ich das erste Mal wütend geworden. Wütend, weil mir tatsächlich zwei Leute, für die ich grosse Achtung empfand, ins Gesicht gesagt hatten, dass ich übertrieb. Und Wut ist gut. Denn Wut setzt Kraft frei, während depressive Gefühle oder Angst einen lähmen. Es war, als ob jemand die Kämpferin in mir freigelassen hätte. Eine Person, die es leid war, nur vor sich her zu leben. Eine Person, die endlich Fuss fassen wollte in der Arbeitswelt und gopferdammi nicht schon von Kleinigkeiten im Job überfordert sein wollte!
Ich suchte mir eine neue Therapeutin und stellte mich meinen Problemen. Zum allerersten Mal schaffte ich es, mich aus der Opferrolle zu befreien. Ich war nicht mehr die, die vom Leben hin und her geworfen wurde, sondern die, die Dinge selber in die Hand nahm. Und mein damaliger Freund, heute mein Ehemann, hat mich auf jedem Schritt begleitet und war immer mein grösster Fan und Unterstützer. In Babyschritten habe ich es mit meiner damaligen Chefin geschafft, meine Selbstzweifel und meine Ängste zu beschwichtigen und mehr und mehr Leistung zu erbringen.
Ich hatte ihr von mir erzählt. Es war der einzige Weg, wie ich ihr verständlich machen konnte, warum ich mir selber so unglaublich im Weg stand. Und ich hatte Glück, denn sie hat mich während der folgenden fünf Jahre weiter unterstützt, gefordert und gefördert. Immer mit Sorge um meine Gesundheit. Sie hat mein Potential gesehen und war willens, mit mir den Weg zu gehen, dieses Potential unter all den Selbstweifeln hervorzuholen. So durfte ich in den vergangenen Jahren nicht nur zwei weitere Beförderungen erleben, sondern auch das Gefühl wertvoll zu sein, gute und wichtige Arbeit zu leisten und Freude und Erfüllung im Job zu finden.
Warum erzähle ich meine Geschichte?
Ich war ganz unten. Ich war da, wo man sich überlegt wie man diese Welt verlassen könnte. Mein heutiger Alltag ist eine perfekt ausgetüftelte Routine, um meine Ängste und Hochsensibilität möglichst gut zu kontrollieren. Ich bin nicht geheilt. Aber ich habe gelernt, mich nicht nur zu akzeptieren, sondern mich auch zu mögen. So wie ich bin. Mit allem Guten und Schlechten. Mein Glück ist es (oder auch mein Erfolg?), dass sich die Depressionen seit vielen Jahren nicht mehr allzu stark zeigen. Ich bin nicht geheilt. Aber ich habe gelernt, das für mich Richtige zu tun und für mich zu kämpfen. Und mein Kampf hat sich gelohnt.
Es war vor nicht allzu langer Zeit, als ich zu meinem Mann sagte: „Noch nie habe ich ein solches Gefühl von Glück und Zufriedenheit erlebt, ohne in den Ferien zu sein.“ Und ich habe dies sicherlich alle zwei Tage wiederholt. Bis heute habe ich einen Sprung in der Platte. Ich kann es manchmal gar nicht glauben. Ich bin Mitte 30ig und zum ersten Mal wirklich glücklich.
Und das ist der Grund, dass ich von meinem Kampf mit meiner psychischen Gesundheit erzähle. Ich will anderen, die Ähnliches erleben, Mut machen. Ihnen sagen, dass das Leben weiter geht. Dass es besser wird, egal wie verschissen das Leben grad zu sein scheint. Es loht sich weiterzumachen. Einen Tag nach dem anderen. Du bist es wert. Auch du kannst wieder glücklich werden.
Liebe Sara
Ich finde es grossartig aber auch berührend, wie du mit dem Thema aber auch mit dir umgehst. Es freut mich sehr für dich und euch beide, dass du angekommen bist und deinen Weg zum Glücklich sein gefunden hast.
Noch schöner finde ich, dass du anderen Betroffenen hier hilfst.
Ich wünsche dir alles Liebe, du hast es dir mehr als verdient!
Liebe Grüsse
Claus