Hochsensibilität
Veröffentlicht am: 29. Oktober 2016Kategorien: Hochsensibilität0 Kommentare on Hochsensibilität: Wenn der Kopf überschwappt..Views: 182

Hochsensibilität: Wenn der Kopf überschwappt..

Seit September bis Ende Jahr arbeite ich Vollzeit und tue mich schwer damit, meinem Blog gerecht zu werden. Ich habe zwar Ideen, starte die Beiträge, schaffe es aber nicht, sie abzuschliessen. Es ist, als hätte ich keinen Platz mehr in meinem Kopf, mich um Kreatives zu kümmern. Das das so kommen könnte, hatte ich befürchtet. Und trotzdem war da die hoffnungsvolle Stimme in meinem Kopf: Ach, das ist doch kein Problem. Vollzeit arbeiten und in der Freizeit bloggen. Es gibt ja noch die Abende nach der Arbeit und die Wochenenden. Klar doch, sicherlich, machen viele andere Bloggerinnen doch auch. Aber ich bin nicht die anderen, sondern ICH und ich ticke anders.

Ich sauge alles, was um mich herum passiert auf wie ein Schwamm. Das geschieht immer und überall und ohne, dass ich dies kontrollieren könnte. Alle nehmen wir Gerüche wahr, den genervten Chef oder das Auto, das rasend am Haus vorbeibraust. Aber ich nehme auch wahr, wie mein Sitznachbar seinen Kaffee runterschluckt, höre seinen Stift auf dem Papier oder fühle ohne Worte, ob er genervt, glücklich oder gestresst ist. So höre ich meiner Freundin zu und höre nicht nur die Worte, die sie laut sagt, sondern höre auch Sämtliches zwischen den Zeilen, nehme ihre Gestik wahr, ob sie heute glücklicher aussieht als sonst, ob ihr Eyeliner so sitzt wie immer oder ob sie eine neues Paar Schuhe träg. Geht es ihr gut, wie sie mit mir spricht, versucht sie z.B. Angst zu unterdrücken, versucht sie unnötig stark zu sein oder weiss sie bereits, dass der Typ, den sie so anschmachtet, ihr schon längst nicht mehr guttut? Unter vielen Menschen sehe ich nicht nur den Menschen, der an mir vorbei geht, sondern ich sehe ein Make-up, ein Outfit, ein Geruch, ein Geräusch, nehme die Distanz zu mir wahr, fühle regelrecht physisch die Präsenz jedes Menschen um mich herum. Nichts nehme ich einfach auf wie es ist, alles wird in meinem Kopf analysiert, auseinandergenommen und registriert. Jede noch so unbedeutsame Kleinigkeit. Was ich bin? Ich bin hochsensibel.

Susanne Moeberg beschreibt in ihrem Buch Ja ich spüre mehr! Gut leben mit Hochsensibilität* das Phänomen der Hochsensibilität folgendermassen:

„Die Ursache für Hochsensibilität findet sich in biologischen Unterschieden des menschlichen Nervensystems. Das Nervensystem hochsensibler Menschen ist feinfühliger, ihr Gehirn empfängt und bearbeitet Sinneseindrücke und Reize detaillierter und nuancierter. Die Eindrücke werden intensiver bearbeitet und daher wesentlich stärker erlebt als von nicht hochsensiblen Menschen. Das bedeutet, dass sie Eindrücke, Gefühle und Stimmungen bemerken und auffassen, die andere vielleicht nicht wahrnehmen. Das kann zu dem Empfinden führen, etwas zu sehen und zu spüren, was andere nicht sehen, wie in dem irrtümlichen Glauben, die Welt falsch aufzufassen; man fühlt sich möglicherweise als verkehrt und anders. Dieses Empfinden begleitet einen oft von der Kindheit an.“

Über das Thema Hochsensibilität hört man nicht viel. Es ist ein Charakterzug, keine Krankheit und ca. 15-20 Prozent der Schweizer erleben ihr Umfeld anders als die anderen. Ich persönlich habe erst dieses Jahr von diesem Phänomen gehört. Als ich per Zufall im Bücherladen über Susanne Moeberg’s Buch stolperte (notabene direkt neben Markus Butler’s Hello Life! *nedwörkli?*), fühlte ich mich sofort davon angezogen und habe das Buch einfach mal eingepackt. Zu Hause habe ich noch am gleichen Tag den Selbsttest im Buch gemacht, wo man gucken kann, ob man selber hochsensibel ist. 16 von 17 Punkten habe ich mit Ja angekreuzt. Ab 9 Kreuzen spricht die Autorin davon, dass man hochsensibel ist. Es war, als ob mir die Schuppen von den Augen fielen: Es gibt einen Namen dafür, wie ich bin und ich bin nicht alleine damit??

Seit ich denken kann, empfinde ich das Leben als äusserst anstrengend. So viele Eindrücke und Gefühle, die es zu verarbeiten gilt. Nichts ist einfach wie es ist. Das kenne ich seit ich denken kann. Mal tue ich mich schwer damit, mal weniger. Gerade gehts eigentlich ganz gut. Ich bin zufrieden, habe einen Job, der mich fordert, darf mit meinem Mann sein Unternehmen aufbauen, geniesse meine Zeit mit meinem Blog und fühle mich umgeben von grossartigen Freunden. Aber das ist ein ausgeklügeltes Konstrukt! Jeder Bereich in meinem Leben darf nur so und so viel Energie kosten. Alles was ich mache, bereitet mir Eindrücke und je nachdem wie viele Eindrücke eine Tätigkeit bei mir auslöst, desto mehr oder weniger kann ich davon tun. Und so muss ich die Balance genau halten, damit mein Kopf vor lauter Eindrücken nicht überschwappt. Denn wenn mir das Hirn vor lauter Eindrücken überquillt, sind Panikattacken vorprogrammiert (aber das ist jetzt eine andere Geschichte).

Wenn ich also entscheide, mehr zu arbeiten, wie dies aktuell der Fall ist, muss ich an anderer Stelle etwas zurückstellen. Ihr sagt jetzt vielleicht: Ja, logo – müsste ich auch! Aber ich erlebe mein Umfeld oft so, dass sie eine viel grössere Toleranz aufweisen als ich. Mal ein paar Monate Stress ist für viele okay – kommt halt mit der Verantwortung im Job einher. Aber wenn ich gestresst bin, dann funktioniere ich nicht mehr, würde mir am liebsten die Ohren zuhalten, die Augen schliessen und nicht mehr aus meinem Bettchen kriechen. Denn da draussen lauern überall Eindrücke und wollen von mir aufgesogen werden! ….Ich kann mich aber nicht im Bett verstecken. Ich muss wieder zur Arbeit, muss einkaufen gehen, mich mit dem nervigen Waschplan im Haus auseinandersetzen oder mal unter Freunde (will ja nicht vereinsamen!). Und mein Mann möchte auch mal von einer Schwierigkeit im Alltag sprechen können, ohne, dass dies bei mir den Reflex auslöst, mir meine Ohren zuhalten zu wollen.

Und so ist mein Kopf voll seit ich Vollzeit arbeite. Der Kopf ist übergeschwappt und der Blog ist über die Kante geflogen. All meine Hoffnungen, dass der Hirntopf vielleicht etwas grösser geworden wäre, muss ich begraben. Das finde ich alles andere als prickelnd. Aber es ist so bis Ende Jahr. Das Problem dabei? Es ist schwierig, seine eigenen Limitationen zu akzeptieren und sich nicht mit anderen zu vergleichen.

Aber eben, ich bin ich und ich bin anders. Du bist du und du bist wie du bist. Und beides ist gut so.

Eure Sara

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Quelle:

*Susanne Moeberg: Ja ich spüre mehr! Gut leben mit Hochsensibilität. Sorpio Verlag GmbH & Co. KG, München, 2016, S. 12.

 

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